Handwerk

Vom Mut, vorauszudenken

Geschrieben am 01.09.2016

Marlene Leichtfried von der VIENNA DESIGN WEEK hat uns mit ihrer Liebe zu Tradition, Design und Handwerk angesteckt.

Titelbild: © kollektiv fischka

Die VIENNA DESIGN WEEK – kurz VDW – hat sich in den vergangenen 10 Jahren zur Plattform für Design und Innovation in Wien entwickelt. Dieses Jahr findet sie vom 30.9. bis 9.10. statt. Wir haben Marlene Leichtfried getroffen, die sich im Team der VDW besonders für das Social Design Format „Stadtarbeit“ und Partner Relations engagiert.

VIENNA DESIGN WEEK ’16 Team, links: Marlene Leichtfried | Foto: © Katharina Gossow

Was bedeutet Handwerk im Kontext der Vienna Design Week?

Marlene Leichtfried: Handwerk hat zum Glück wieder ein Revival erfahren. Das sieht man nicht zuletzt an den vielen Unternehmen, die jetzt unter dem Begriff „Manufaktur“ auftreten.
Im Kontext der VDW haben bereits sehr viele Handwerksbetriebe eine Bühne bekommen, manche davon gibt es aber leider schon nicht mehr.

In unserem Format „Passionswege“, dem Herzstück der VDW, spannen wir seit 10 Jahren jeweils eine Designerin oder einen Designer mit einem produzierenden Betrieb als Paar zusammen. Das kann ein Korbflechter in Favoriten sein, ein Polsterer in der Landstraße, oder wie heuer ein Kupferdrucker im ersten Bezirk und eine Stickerei für petit point – um nur einige Beispiele zu nennen. Ganz oft sind die Betriebe in Hinterhöfen, Souterrains oder im 1. Stock versteckt.

Wie sieht so eine Kooperation zwischen Handwerk und Design aus?

Marlene Leichtfried: Lilli Hollein als Festivaldirektorin hat ein Gespür für interessante DesignerInnen, die oft am Anfang ihrer Karriere stehen. Parallel dazu gehen wir jedes Jahr hinaus, um Wiener Traditionsunternehmen, speziell im Fokusbezirk, zu finden. Das ist eine extrem spannende Suche. Wir haben aber auch Unternehmen wie die Wiener Silber Manufactur oder Lobmeyr, die seit vielen Jahren bei den Passionswegen mitmachen.

In der Begegnung zwischen Handwerksbetrieben und jungen DesignerInnen geht es dann darum, ohne eine konkrete Auftragssituation vom Blick des jeweils anderen zu profitieren. Sei es die Herangehensweise, Wissen, Materialen oder der Einsatz von Werkzeugen. Der Ausgang des Projektes ist dabei völlig offen.

Chmara.Rosinke bei Wäscheflott, 2013 | Foto: © kollektiv fischka

Bei Wäscheflott zur VDW13 gab es beispielsweise eine besondere Überraschung: Das Ergebnis der Kollaboration war kein Produkt, sondern eine Auseinandersetzung mit dem Shopdesign und der sich verändernden Kundschaft.

Das ermöglichen wir: Einen Freiraum, in dem sich DesignerInnen völlig frei dem Unternehmen zuwenden können, und umgekehrt. Die Basis ist eine Begegnung auf Augenhöhe, der Prozess wird von uns begleitet. Entstanden ist immer eins: Innovation.

Welche Traditionsmarke empfinden Sie als besonders mutig?

Marlene Leichtfried: Die Gegenbauer Essigmanufaktur! Jeder kennt den Essig seit seiner Kindheit. Aber niemand würde vermuten, was man in der unscheinbar gelegenen Manufaktur hinter dem Wiener Hauptbahnhof noch alles entdecken kann. Da gibt es einen sehr schönen Shop mit einer ungeahnten Vielfalt an Produkten. Im ersten Stock gibt‘s sogar “Wiener Gäste Zimmer”! Sie sind die räumliche Übersetzung dessen, wie Herr Gegenbauer sein Produkt begreift: pur und auf das Wesentliche reduziert. Ein Ort, bei dem man auf Schritt und Tritt mit Innovation konfrontiert wird. Die Reststoffe der Essigproduktion werden weiterverwendet. Die Kerne zum Backen von Brot, die Maische zum Heizen! Man fühlt sich dort eher wie in New York als in Wien.

Im Herbst ist es wieder so weit?

Marlene Leichtfried: Ja genau! Ab dem 30.9.2016 bekommt die Öffentlichkeit während der VIENNA DESIGN WEEK einen Einblick in Orte, die oft nicht so einfach zugänglich sind. Aber auch von vielen Designern haben wir schon Erstaunen erlebt, was sich in Wien alles produzieren lässt.

Wenn wir etwas für dieses Bewusstsein zum Handwerk und dessen Wertschätzung beitragen können, wenn wir Austausch und Innovation fördern können, empfinde ich das als große Freude. Es gibt den berühmten Satz „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern das Weitergeben des Feuers.“

Warum interessiert Sie als urbanen Menschen gerade das Traditionelle?

Marlene Leichtfried: Tradition heißt für mich immer: Wissen. Ich denke bei Produkten von Traditionsbetrieben immer daran, wer da sein oder ihr Wissen reingesteckt hat, das dann über Generationen weitergegeben und weiterentwickelt wurde.

Produkte aus traditionellen Betrieben haben eine Seele. Sie erzählen eine Geschichte.

Der Wert ist die Wurzel und die Herkunft.

Das Werkzeug ist vielleicht noch das gleiche wie vor ganz langer Zeit, weil es nicht besser sein kann. Schön, wenn damit heute auch neue Produkte hergestellt werden.

Die Werkstätten, die ich oft auch in meiner Freizeit aufspüre, sind beeindruckende Orte. Zwischen den Materialen, Werkzeugen, Skizzen und Gerüchen fühlt man sich oft in eine andere Zeit versetzt. Man spürt das gesammelte Wissen und wird fast ehrfürchtig.

Welche österreichischen Traditionsmarken schätzen Sie persönlich?

Marlene Leichtfried: Riess ist ein schönes Beispiel. Die Produkte stehen für Qualität. Man kennt die “Reindln” noch von der Oma, zweifelsohne schwingt bei dieser Marke eine Portion Nostalgie mit. Gemeinsam mit dem Designerduo dottings wurde das Sortiment um Produkte erweitert, die dieses Gefühl von “haben wollen” erzeugen.

Leitner Leinen ist ein Betrieb aus dem Mühlviertel, seit 1853. Wir haben die junge Generation in Mailand kennengelernt. Bei der VDW16 wird es einen Pop-up Shop im AFA Store im 7. Bezirk geben. So machen wir die Marke für ein ganz neues Publikum erlebbar. Ich bin sehr gespannt auf das Feedback unserer FestivalbesucherInnen und von Leitner Leinen.

Ab 30.9.2016 stehen die Türen und Tore der VIENNA DESIGN WEEK ’16 interessierten Besucherinnen und Besuchern offen.

Foto: © Markus Guschelbauer