Handwerk

Slow Food. Über die Achtsamkeit beim Brotbacken.

Geschrieben am 25.08.2016

„Mein liebstes Brot hat nur drinnen, was in jedes Brot gehört: gutes Getreide, Wasser, ein bisserl Salz und die allerwichtigste Zutat: Zeit.“ Barbara van Melle im Interview.

Wir haben mit Barbara van Melle, Österreichs bekanntester Vertreterin der Slow Food Bewegung, darüber gesprochen, was sie niemals essen würde, was in ein gutes Brot gehört und welches Rezept sie zum Selberbacken am allerliebsten hat.

Stilarena: Was bedeutet Langsamkeit für Sie?

Langsamkeit – das steckt in Slow Food. Und dahinter steht eine Bewegung für alle, die hinter die Kulissen blicken wollen. Um wieder Vertrauen zu haben in das, was sie essen.

Denn im Zuge der Industrialisierung sind uns Menschen Achtsamkeit, Langsamkeit und das Hinter-Die-Kulissen-Sehen im Umgang mit Lebensmitteln verloren gegangen. Dieser alte Spruch „Du bist, was du isst“ bedeutet nichts Anderes als: Essen wird ein Teil von uns. Den Nahrungsmitteln keine Bedeutung zu schenken, ist deshalb ein großer Fehler.

Uns liegt die Achtsamkeit am Herzen, vor allem hinsichtlich der Produktion und Zubereitung von Lebensmitteln. Der wahre Genuss und Luxus liegt in der Reduktion aufs Wesentliche.

Ganz einfach: Ein Lachs aus konventioneller Haltung irgendwo in Norwegen, vollgestopft mit Antibiotika oder Shrimps, für die Tropenwälder abgeholzt wurden oder sogenannte vegane Produkte, die Palmöl enthalten, sind ernährungsphysiologisch nicht gut für uns.

Wenn man sich mit diesen Dingen nicht auseinandersetzt, tut man sich selbst und auch der Umwelt nichts Gutes.

Stilarena: Sie haben sich viel mit dem Thema Brotbacken beschäftigt. Was ist Ihr liebstes Brot oder Gebäck?

Brot ist für mich das wichtigste Grundnahrungsmittel. Deshalb habe ich mir angesehen, warum wir so viel schlechtes Brot, Schrott, in den Supermärkten haben.

Ich habe voriges Jahr ein Buch (“Der Duft von frischem Brot“), dazu geschrieben und Fragen gestellt: Was ist in den letzten Jahrzehnten mit dem Bäckerhandwerk passiert? Warum ist so viel Handwerk auf der Strecke geblieben? Warum hat die Industrialisierung gerade beim Brot so stark gegriffen?

Parallel habe ich von vielen Bäckern Rezepte bekommen. Ich bin zur passionierten Bäckerin geworden.

Mein liebstes Brot ist das, wo nichts drin ist, als das, was in jedes Brot gehört: gutes Getreide, Wasser, ein bisserl Salz, und die allerwichtigste Zutat: Zeit.

„Es gibt kein gutes Brot ohne die Zeit, bis es gebacken ist. Die Zeit akzeptiert nichts, was ohne sie geschaffen wurde.“
Barbara van Melle

Das trifft bei keinem Lebensmittel so extrem zu wie bei Brot. Dort wo Teige lang geführt werden, entsteht mein liebstes Brot und Gebäck.

Übrigens steht jetzt gerade ein Weizensauerteig bei mir in der Küche, den ich nachher „füttern“ muss (Anm. d. Redaktion: Sauerteig wird immer wieder mit Mehl und Wasser in einem Glas vermengt und im Kühlschrank aufbewahrt). Natursauerteige sind seit Jahrtausenden das Lockerungsmittel für gutes Brot und natürlich kann man die auch zu Hause zum Backen nutzen.

Zwei Aufnahmen. Links: Buch Der Duft von frischem Brot von Barbara van Melle. Rechts: Barbara van Melle lachend mit Laib Brot.
Fotos: Wolfgang Hummer
Zwei Aufnahmen von Barbara van Melle beim Brot backen in der Küche.
Fotos: Wolfgang Hummer

Stilarena: Rare Mehle wie Kamutmehl bekommen immer mehr Aufmerksamkeit. Was halten Sie von einem klassischen Weizensemmerl?

In unserer Zeit, wo Biodiversität rasant verschwindet, sind rare Mehle ein klassisches Slow Food Thema. Wir haben in den letzten 100 Jahren 75% unserer Sortenvielfalt auf den Äckern verloren. Ich unterstütze eine Bewegung, die sich darum bemüht, dass das Alte und Rare beim Gemüse, bei Getreide, selbst bei Nutztierrassen, wieder kultiviert wird. Eine wichtige Bewegung und ein schöner Trend! Rare Mehle wie Einkorn, Emmer, Dinkel, die sollen kultiviert werden!

Das Kamutmehl, der Khorasan-Weizen, ist in Kanada patentiert worden. In unserer Bewegung sind wir gegen die Patentierung von Sorten und Arten, weil wir der Meinung und Überzeugung sind, dass weder eine große Gentechnikfirma noch ein multinationaler Konzern wie Monsanto den Anspruch auf Saatgut hat. Saatgut gehört den Menschen, der Weltbevölkerung.

Von der Handsemmel halte ich daher ganz viel, wenn sie eine traditionelle Kaisersemmel ist. Das ist österreichische Backkultur in ihrer Hochform. Bei Semmeln gibt es so große Unterschiede. Menschen nehmen sich zum Beispiel unglaublich viel Zeit zum Vergleichen von Handys. Es gibt welche um 29 Euro, und Menschen geben bis zu 800 Euro dafür aus. Bei einer Semmel gibt es auch große Unterschiede! Es gibt die um 15 Cent, die im Supermarkt aufgebacken wird. Oje! Ich würde in meinem Leben keine Semmel aus dem 10er-Pack essen, weil sie grauslich schmeckt. Ich versteh‘ auch nicht, warum sie jemand isst. Aber die klassische österreichische Handsemmel, wenn die mit guten Zutaten, viel Zeit und viel handwerklichem Geschick gebacken worden ist, mhmmm.

Die Bäcker sagen, man muss ungefähr 10.000 Handsemmeln geschlagen haben, bis man es wirklich kann. Da weiß man, was Handwerk bedeutet. Ja, von dieser Handsemmel halte ich ganz viel.

Stilarena: Welche Basic Rezepte empfehlen Sie Neo-HobbybäckerInnen?

Ich empfehle Einsteigerrezepte mit Vorteigen:

Nahaufnahme von Kastenbrot in beige Stoffserviette gewickelt.

Dinkelbrot mit Apfelsaft, Franz Brandl

 

Franz Brandl gilt als Meister des Handgebäcks. Gemeinsam mit seinem begnadeten jungen Bäckermeister Pauli Jungreithmayer kreiert er aber auch ganz hervorragende Brotrezepte. Wie dieses hier – das Kochstück macht das Dinkelbrot saftig, und der Fruchtsaft gibt ihm eine herrlich erfrischende Säure. Einfach zu backen ist es noch dazu.

Zutaten für 1 Kastenbrot (Kastenform mit 1 l Fassungsvermögen):

Kochstück:

80 g Dinkelvollkornmehl, 55 g Dinkelflocken, 55 g Sonnenblumenkerne, 250 g Wasser

Hauptteig

15 g Germ, 85 g Wasser (25 °C), Kochstück, 250 g Dinkelvollkornmehl, 10 g Salz, 15 g Honig, 70 g Fruchtsaft (Trauben, Apfel, Johannisbeere, 20 °C), 90 g Joghurt (3,6 % Fettgehalt); Dinkelflocken zum Bestreuen; Sonnenblumenöl für die Form

Teigbereitung: 3 Std.

Für das Kochstück Dinkelvollkornmehl, Dinkelflocken und Sonnenblumenkerne mit dem Wasser in einem Topf zu einer puddingartigen Konsistenz einkochen. Dabei achtgeben, dass die Masse nicht anbrennt. Das Kochstück erst bei Raumtemperatur, dann im Kühlschrank ca. 3 Stunden abkühlen lassen. Das Kochstück kann rund 3 Tage im Kühlschrank gelagert werden und nach dem Abkühlen oder auch sofort verwendet werden.

Für den Hauptteig die Germ im Wasser auflösen und gemeinsam mit Kochstück, Dinkelvollkornmehl, Salz, Honig, Fruchtsaft und Joghurt in der Küchenmaschine 8 Minuten langsam und 2 Minuten schnell zu einem Teig kneten.

Diesen sehr weichen Teig 30 Minuten mit einem Tuch abgedeckt bei Raumtemperatur ruhen lassen.

Aufarbeiten: 60 min

Eine Kastenform – die Form soll nicht zu groß sein – mit Sonnenblumenöl ausfetten und den Teig einfüllen. Den Teig mit Wasser abstreichen, mit Dinkelflocken bestreuen und mit einem Tuch abgedeckt an einem warmen Ort rund 60 Minuten ruhen lassen.

Backen: 50 bis 60 min

Im 220 °C vorgeheizten Backofen ca. 50 bis 60 Minuten backen. Um eine bessere Kruste zu bekommen, das Brot nach 45 Minuten Backzeit aus der Form nehmen und die letzten 10 Minuten ohne Form fertig backen. Auf einem Gitterrost auskühlen lassen.

Oder mein absolutes Lieblingsrezept:

Aufnahme in Vogelperspektive von zwei Stück Kornspitz auf einem dunklen Holzschneidebrett. Der obere Kornspitz ist aufgeschnitten und der untere Kornspitz ist noch ganz.

Spitzbuam, Paul Jungreithmayr/Franz Brandl

 

Sein ganzes Bäckerwissen habe er gebraucht und wochenlang getüftelt, erzählte mir Pauli Jungreithmayr, um das Rezept für diese „Spitzbuam“ zu kreieren. Die Mühe hat sich gelohnt: Er hat ein geniales, hochwertiges Gebäck mit Saaten, Altbrot und Haferflocken entwickelt, das den markenrechtlich geschützten Kornspitz ziemlich blass aussehen lässt. Dieses Gebäck gehört zu meinen absoluten Lieblingsrezepten.

Zutaten für ca. 14 Stück:

Kochstück:

50 g Roggenschrot (ersatzweise Roggenvollkornmehl), 50 g Weizenvollkornmehl, 35 g Leinsamen, 15 g Sesam, 50 g Haferflocken, 270 g Wasser (70 °C), 18 g Backmalz, 20 g Brotbrösel

Hauptteig:

25 g Germ, 155 g Wasser (20 °C), Kochstück, 500 g Weizenmehl (Type 700), gesiebt, 15 g Backmalz, 15 g weiche Butter, 15 g Salz

Teigbereitung: 3 Std.

Die Zutaten für das Kochstück in einen Topf geben und so lange kochen (dabei sehr gut rühren), bis sie eine puddingartige Konsistenz haben. Das Kochstück dann zuerst bei Raumtemperatur, dann im Kühlschrank ca. 3 Stunden abkühlen lassen. Ein Kochstück kann ca. 3 Tage gelagert, nach dem Abkühlen aber auch sofort verwendet werden.

Für den Hauptteig die Germ im Wasser auflösen. Dann mit dem Kochstück und allen anderen Zutaten des Hauptteiges in der Küchenmaschine 8 Minuten langsam und 3 Minuten schnell zu einem Teig kneten.

Aufarbeiten: 40 min

Anschließend den Teig in Portionen von 80 g teilen und die Teiglinge auf einem bemehlten Brett rundschleifen. Danach zu ovalen Teigflecken ausrollen und wie zu Salzstangerln einrollen. Es entstehen kurze Teigrollen. Diese Rollen mit Wasser abstreichen. Sesam auf einen Teller streuen und die Teigrollen darin mit der feuchten Seite eintauchen. Auf ein mit Backtrennpapier ausgelegtes Blech legen und mit einem Wellenschliffmesser zweimal schräg einschneiden. Die Spitzbuam an einem warmen Ort mit einem Tuch abgedeckt rund 40 Minuten ruhen lassen.

Backen: ca. 12 min

Die Spitzbuam in den auf 230 °C vorgeheizten Backofen schieben. Mit Schwaden backen. Nach 8 Minuten Backzeit die Ofentüre kurz öffnen, den Schwaden ablassen und die Spitzbuam noch 4 Minuten dunkelbraun und knusprig fertig backen.

Stilarena: Wie backen Sie am liebsten? Im Backofen? Am Brotbackstein?

Das Wesentlichste: Jede und Jeder hier kann daheim Brot backen, wenn der Ofen 250°C leistet. Der Duft von Brot ist also in so gut wie jedem Zuhause möglich!

 

Stilarena: Was haben Sie im Slow Food Workshop am 6.9.16 in der Stilarena vor?

Wir werden mit zwei herausragenden Bäckermeistern – wenn man so will, den Stars der Szene – in der Stilarena backen. Dafür verwenden wir außergewöhnliche, neue Mehle der “Fandler Ölmühle“ aus der Steiermark.

Und was wir auch üben werden: schöne Handsemmeln!